Ursachen und Prävention von Verletzungen im Tanz

Ursachen und Prävention von Verletzungen im Tanz


Praktisch alle Verletzungen betreffen den Bewegungsapparat. Verletzungsgefahr besteht insbesondere beim Zusammentreffen forcierter technischer Anforderungen mit ungenügenden körperlichen Voraussetzungen. Die häufigsten Verletzungen werden kurz porträtiert. Zusammenhänge zwischen individuellen Voraussetzungen und Risikoprofil bestimmter Tanztechniken werden verdeutlicht. Möglichkeiten zur Prävention bestehen in der Beherzigung allgemeingültiger Verhaltensregeln sowie in der Optimierung der eigenen Körperkoordination, besonders jener der Beine.

Verletzungen bei Tänzern
Die weitaus meisten Verletzungen betreffen die unteren Extremitäten und den unteren Rücken:
– Bänderzerrungen und -risse des Sprunggelenks durch Mißtritte;
– Kniebeschwerden durch akute oder chronische Fehlbelastung (Menisci, Bänder, Kniescheibe):
– Hüftbeschwerden durch ungenügende Beweglichkeit (Bänder, Sehnenansätze, Schleimbeutel);
– Chronische Rückenschmerzen im Lendenbereich durch falsche Beckenhaltung oder ungenügende Beweglichkeit der Wirbelsäule.

Bei einer akuten Verletzung heißt die Regel ohne Ausnahme: sofort aufhören zu tanzen und den schmerzenden Körperteil entlasten. Lokale Kälteappilkation ist meistens angebracht. Je nach Schweregrad wird ärztlicher Rat beigezogen. Der Preis für heroischen Durchhaltewillen, trotz Verletzung weiter zu tanzen, ist hoch: Komplikationen und verlängerte Erholungszeit sind vorprogrammiert. Unfälle wie Stürze und Mißtritte lassen sich meist auf psychische und körperliche Momente zurückführen.
Psychische Risikofaktoren sind beispielsweise Übermüdung, Nervosität, Leistungsstress oder zu viel Ehrgeiz.
Körperliche Risikofaktoren sind in erster Linie unkoordinierte Bewegungen. Es lohnt sich, auf beiden Ebenen nach zugrundeliegenden Mustern zu forschen, um unnötige Wiederholungen vermeiden zu können. Zahlenmäßig den weitaus größten Anteil an Verletzungen bilden chronische Verletzungen des
Bewegungsapparates, wie Muskelzerrungen, Sehnenansatzentzündungen, Knochenhautreizungen, Rücken- und Hüftschmerzen. Sie können schleichend beginnen oder im Anschluß an ein Bagatelltrauma persistieren. Diese chronichen Beschwerden sind besonders lästig. Fast alle derartigen Verletzungen des Bewegungsapparates entstehen durch Fehl- und Überbelastungen. Diesen liegen ungünstige Haltungs- oder Bewegungsmuster
zugrunde. Solche Muster sind eingeschliffen, automatisch und meistens unbewusst. Wer irgendwo chronische oder immer wiederkehrende Schmerzen hat, darf sicher sein, dass es in punkto Bewegungskoordination
Wesentliches zu verbessern gilt.

Individuelle körperliche Voraussetzungen als Verletzungsrisiko
Ein Vergleich mit dem Ideal des klassischen ,,Ballettkörpers” sagt bekanntlich nichts Endgültiges über die Eignung zum Tänzer aus. Künstlerische Ausdruckskraft kann körperliche Mängel transzendieren. Zudem gewähren moderne Formen des Tanzes hier zunehmend mehr Spielraum. Individuelle körperliche Voraussetzungen, die die Eignung zum Tänzer beeinflussen. lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Veranlagung und Gewohnheit. Es versteht sich, dass sich die beiden Kategorienüberschneiden und meist gemischt auftreten. Veranlagungen sind angeboren und in der Regel nicht veränderbar.
Dazu gehören beispielsweise Körperproportionen, Konstitutionstyp und Bandlaxizität. Gewohnheiten umfassen sämtliche Haltungs- und Bewegungsmuster eines Menschen und sind veränderbar.
Als gesunde Neugeborene besaßen wir eine umfassende Beweglichkeit nahezu aller Gelenke. Unbeweglichkeiten entstehen durch gewohnheitsmäßigen Nichtgebrauch. Ein Gang mit auswärtsgedrehten Füßen beispielsweise führt tendenziell zu einer Einschränkung der lnnenrotation im Hüftgelenk. Ein Strukturwandel des Körpers ist nur durch Änderung der Gewohnheiten möglich und braucht Zeit.
Kenntnis und Umwandlung der eigenen Schwachstellen ist der wesentliche, persönliche Beitrag zur Verhütung von Verletzungen. Nebst Prüfung der tänzerischen Begabung ist deshalb eine frühzeitige orthopädische Evaluation – vor Beginn jeder Ausbildung – angezeigt, um individuelle Schwachstellen frühzeitig erkennen zu können.
Die am häufigsten anzutreffenden ungeordneten Haltungs- und Bewegungsmuster sind Fußdeformitäten, unkoordinierter Gebrauch der Beine sowie ungenügende Beweglichkeit der Hüftgelenke und der Wirbelsäule:
– Dem Senk- und Plattfuß fehlt die notwendige Muskeldynamik, dem Hohlfuß die notwendige Elastizität. Die
Knickfußtendenz (pes valgus) ist weitverbreitet und führt obligat zu einer Fehlstatik des ganzen Beines.
– Ein Ungleichgewicht der Beinmuskulatur ist beispielsweise an den Kniescheiben erkennbar: Im entspannten Parallelstand sind sie leicht nach innen statt gerade nach vorn gerichtet.
– Das vielleicht häufigste Problem im Tanz ist eine ungenügende Beweglichkeit der Hüftgelenke. Betroffen sind vor allem Außenrotation und Streckung.
– Eine chronische Hohlkreuzhaltung führt zu verspannten und verkürzten Lendenmuskeln. Bei Sprüngen mit hohen axialen Belastungskräften der Wirbelsäule kommt es zu massiven Stauchungen der Lendenwirbelsäule.
– Häufig hat die Wirbelsäule ihre dreidimensionale, umfassende Beweglichkeit verloren, einzelne Segmente sind blockiert, Bewegungen können nicht mehr durch den Stamm fließen, die Blockarten müssen wie Felsen im Wasserstrom umflossen werden. Es kommt zu kompensatorischen Hyperbeweglichkeiten der beweglichen Abschnitte mit entsprechenden Beschwerden.

Tanztechnik und Verletzungsrisiko
Im Tanz wird versucht, durch eine bestimmte, meist klar definierte Form ein spezielles Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Im Training wird der Körper gemäß dieses Formideals modelliert. Die individuellen Voraussetzungen hierzu sind sehr unterschiedlich. Entscheidender als die Frage ,,welche Technik“ ist das ,,wie“ der jeweiligen Anleitung und Ausführung. Jede forcierte und nicht den individuellen Gegebenheiten angepasste Technik führt zwangsläufig zu Überlastungen der Schwachstellen. Nachfolgend eine Auswahl häufig missverstandener Techniken. Weil sich tanztechnische Elemente aus dem klassischen Ballett, Graham-Technik, Modern und Jazz überschneiden, ist eine streng systematische Zuordnung nicht sinnvoll.
– Beim relevè werden die Fersen zu stark hochgezogen. Das Körpergewicht verlagert sich dadurch auf die Kleinzehenseite, die Fersen werden tendenziell nach außen gedrückt. Dieses Belastungsmuster des Vorfußes leistet Bandverletzungen der Sprunggelenke Vorschub.
– Um eine gerade rückwärtige Beinlinie zu erhalten, wird das Kniegelenk oftmals vollständig nach hinten durchgestreckt und blockiert. Das Bein soll gestreckt, aber nicht blockiert sein. Insbesondere vom Hochziehen der Kniescheiben ist abzuraten, weil dadurch die Oberschenkelmuskulatur (m. quadriceps femoris) unnötig maximal kontrahiert wird.
– Die Gefahr der forcierten Auswärtsdrehung der Beine ist besonders groß und folgenschwer. Fehlende Hüftbeweglichkeit wird durch ein forciertes Auswärtsstellen der Füße kompensiert. Dies führt zu einer katastrophalen korkenzieherartigen Verdrehung der Knie.
– Um Zentriertheit und Gleichgewicht zu finden, wird die Gesäßmuskulatur unnötig angespannt. Diese equilibrierende Funktion kommt dem Beckenboden zu.
– Bei einer Hohlkreuzhaltung wird aus ästhetischen Gründen der Bauch eingezogen. Entscheidend ist aber die Aufrichtung des nach vorn gekippten Beckens. Hierzu ist eine gezielte Dehnung der verkürzten Rücken- und
Hüftmuskulatur notwendig.
– Bei Bodenexercises, speziell in der 2. Position, besteht die Gefahr, mit dem Gewicht des Oberkörpers die Hüftbeweglichkeit zu forcieren. Sobald sich die Kniescheiben mit nach vorne bewegen, verliert die Übung ihren ursprünglichen Sinn der Hüftmobilisierung. Ähnliches gilt für Exercises an der Stange. Durch Festhalten und Forcieren mit den Armen wird versucht, die fehlende Beweglichkeit der Hüftgelenke zu umgehen.
– Contract und Release sind ,,geführte“ Veränderungen der Spannungsdichte des Stammes. Ein Release ist kein plötzliches Loslassen, kein ,,sich ins hohle Kreuz werfen”.
– Bei Kopfisolationen, speziell bei Rollenbewegungen nach hinten, darf die Zugspannung nach oben nicht fehlen, da sonst die Halswirbelsäule empfindlich gestaucht wird.

Allgemeine Prävention
Die ,,Zehn Gebote” zur Verletzungsprävention im Tanz sind allgemein bekannt und einleuchtend. Ihre praktische Umsetzung liegt in der Eigenverantwortlichkeit des einzelnen:
– Die Kunst des Umgangs mit den eigenen Grenzen steht an erster Stelle. Kenntnis und Akzeptanz des Ist-Zustandes, Geduld und Weitsicht hinsichtlich des erstrebten Soll-Zustandes führen zum Erfolg. Körperlichen Strukturwandel mit Gewalt erzwingen zu wollen, rächt sich erfahrungsgemäß immer.
– Schmerzen wollen als Alarmzeichen verstanden und ernst genommen werden. Ursachen müssen eruiert, Gewohnheiten verändert werden.
– richtige Technik schult den Körper. Ungenügende oder falsch verstandene Technik akzentuiert vorhandene Schwachstellen.
– Allgemeine Fitness durch regelmäßiges Training.
– Die Anforderungen müssen dem individuellen Niveau entsprechen.
– Gradueller Trainingsaufbau mit steigendem Schwierigkeitsgrad.
– Die richtige Körpertemperatur ist wesentlich: Raumtemperatur, Kleider in mehreren Schichten, genügendes Aufwärmen usw.
– Keine Sprünge ohne Schwingboden.
– Ausreichende Erholung. ausgewogene Ernährung und emotionelle Stabilität erhöhen Wohlbefinden und Sicherheit.
– Eine orthopädische Evaluation vor Beginn einer Ausbildung erlaubt es individuelle Schwachstellen frühzeitig anzugehen.
– Kontinuierliche Verbesserung der eigenen Bewegungskoordination. Häufig sind grundlegende Änderungen der Bewegungsgewohnheiten notwendig.

Quelle: Dr. med. Christian Larsen – Institut für Spiraldynamik